Mediziner stehen im Fokus
06.01.2011

Mediziner stehen im Fokus


Von: Mittelbayerische, Udo Metterlein

Kritik kommt von allen Seiten – Dr. Nunhofer aus Neumarkt erklärt Hintergründe für Patienten.

Fachärzte sind in diesen Tagen nicht zu beneiden. Es kommt Kritik von Patienten, die nicht nachvollziehen können, warum es so lange dauert, einen Behandlungstermin zu bekommen. Der Neumarkter Neurologe und Psychiater Dr. Christian Nunhofer steht im Gespräch mit dem Neumarkter Tagblatt Rede und Antwort.

Warum dauert es so lange, bis man bei einem Facharzt einen Termin bekommt?


Dr. Christian Nunhofer:
Die Antwort ist einfach: Weil durch die gesetzlichen Bestimmungen die Behandlung von Patienten, die in gesetzlichen Krankenkassen versichert sind, in den Praxen rationiert ist. Ebenso rationiert wie nach demKrieg Milch und Brot war.

Wie sieht diese Rationierung aus?


Für die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig. Jeder Praxisarzt erhält von ihnen zum Quartalsbeginn eine Mitteilung, in der steht, wie viele Patienten er im Quartal maximal behandeln und welchen Umsatz er maximal erzielen darf – auf den Cent genau. Das ist so, als wenn die Politik dem Bäcker vorschreiben würde, wie viele Semmeln er im Vierteljahr ver- F kaufen und wie viel Geld er dafür einnehmen darf.

Was ergibt sich daraus für die Praxen?


Jeder Arzt kann sich ausrechnen, wie viele Arbeitstage er braucht, um die vorgegebene Patientenzahl und den Umsatz zu erreichen. Die Praxis wird demnach nur an „lukrativen“ Tagen geöffnet. Da Patientenzahl und Umsatz in aller Regel schneller erreicht werden, als das Vierteljahr Arbeitstage hat, bleiben die Praxen an etlichen Tagen geschlossen. Diese Zeit fehlt für die Terminvergabe, sodass die Fristen immer länger werden.

Verlangt nicht der ärztliche Eid, Patienten auch kostenlos weiterzubehandeln?

Entgegen einem weitverbreiteten Gerücht leisten Ärzte keinen solchen Eid. Rechtlich ist sogar durch die Berufsordnung die kostenlose Berufsausübung verboten. Außerdem wäre eine Gratis- Weiterbehandlung für den Arzt nicht billig: Es fallen Nebenkosten für Strom oder Heizung an. Das straf- und zivilrechtliche Risiko einer Fehlbehandlung wäre ebenfalls ein Faktor – insgesamt ein großes Risiko.

Was sparen die Krankenkassen und damit die Versicherten durch diese Rationierung ein?

Leider nichts. Es ist nachvollziehbar, dass die ambulante Behandlung immer billiger ist als eine Klinikbehandlung. Die Rationierung erzwingt aber auf zwei Wegen vermehrte Klinikeinweisungen: Erstens weisen Allgemeinärzte Patienten in die Klinik ein, wenn ihnen die Zeit bis zumFacharzttermin zu lange erscheint. Zweitens tun sie es, wenn der Untersuchungsaufwand bei einem einzelnen Patienten hoch und damit nicht kostendeckend zu erbringen ist.

Aber die Ärzte haben doch gerade in den letzten Jahren viel mehr Geld für die Behandlungen in den Praxen erhalten.


Im Prinzip stimmt das. Aber diese Gelder wurden in Deutschland nicht gleichmäßig verteilt. Für Bayern gilt, dass Versicherungsbeiträge über den Gesundheitsfonds sogar abfließen. Es gibt eine Tabelle des Bundesgesundheitsministeriums, die jeder auf der Homepage der Behörde einsehen kann. Dieser Auflistung kann man entnehmen, dass 1999 von 131,2 Milliarden Euro Einnahmen der gesetzlichen Kassen 21,72 Milliarden für die ärztliche Behandlung ausgegeben wurden – das sind 16,2 Prozent. Vergangenes Jahr flossen 26,3 Milliarden von 172,2 Milliarden Einnahmen – das entspricht 16,5 Prozent. Der Anteil der Kosten für den ambulanten Bereich an den Gesamtausgaben ist also annähernd konstant.

Sind den Politikern diese Sachverhalte nicht bekannt?


Die Volksvertreter haben durch die von ihnen beschlossenen Gesetze diese Rationierung eingeführt – allen voran Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner früheren Funktion als Bundesgesundheitsminister. Auf einer CSU-Veranstaltung im April 2009 hielt Seehofer eine Rede vor Fachpublikum, in der er die Rationierung im Gesundheitswesen einräumte, die negativen Konsequenzen exakt analysierte und Abhilfe versprach. Leider ist davon bis jetzt nichts umgesetzt.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn hat jetzt gefordert, die Wartezeiten auf einen Termin beim Facharzt auf maximal drei Wochen zu verkürzen. Wenn die gesetzlichen Gegebenheiten sogar zu zwischenzeitlichen Praxisschließungen zwingen, wie lässt sich solch eine Forderung dann erklären?

Darauf möchte ich nur mit einem Zitat von Hans Magnus Enzensberger antworten: „Die Überzeugung, dass er es draußen im Lande mit Millionen von Idioten zu tun hat, gehört zur psychischen Grundausstattung des Politikers.“

Mediziner stehen im Fokus, Dr. Nunhofer erklärt warum

Dr. Christian Nunhofer steht Rede und Antwort