Migräne
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Chronische Migräne

Die Migräne ist mit ca. 10% Betroffenen in der Bevölkerung nach den Spannungskopfschmerzen die zweithäufigste primäre Kopfschmerzform. "Primär" bedeutet, dass die Kopfschmerzen nicht Anzeichen einer anderen Erkrankung wie zum Beispiel einer Hirnhautentzündung sind, sondern die Krankheit ansich darstellen.

Typische Migräneanzeichen:

  • attackenweiser, heftiger, häufig einseitiger, pulsierend-pochender Kopfschmerz, Zunahme bei körperlicher Betätigung.
  • Begleiterscheinungen: zu 80% Übelkeit, 40-50% Erbrechen, 60% Lichtscheu, 50% Lärmscheu
  • zusätzlich eventuell neurologische Ausfälle mit Sehstörungen, Sprachstörungen, einseitige Lähmungen/Gefühlsstörungen, Schwindel etc.


Zirka jeder zehnte Migränepatient entwickelt eine chronische Migräne. Diese liegt vor bei

  • mindestens 15 Kopfschmerztagen pro Monat
  • davon mindestens 8 Kopfschmerztage mit einer typischen Migräne, wie sie oben beschrieben ist.
    Zum Nachweis ist ein Kopfschmerzkalender erforderlich. In diesem muss der Patient festhalten
  • die Art des Kopfschmerzes (Migräne oder z.B. Spannungskopfschmerz)
  • die Stückzahl und die Art der dagegen eingenommenen Akutmedikamente (Triptane oder gängige Schmerzmittel vom NSAR-Typ wie z.B. Ibuprofen, ASS etc.)

Bei chronischer Migräne helfen von den gängigen Migräne-vorbeugenden Medikamenten in der Regel nur noch Propranolol oder Topiramat, bei gleichzeitigem Schmerzmittelübergebrauch nur noch Topiramat.

Inzwischen steht eine neue Medikamentengruppe zur Vorbeugung von Migräneattacken und auch zur Behandlung der chronischen Migräne zur Verfügung: Die monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor sind in der Prophylaxe der episodischen und chronischen Migräne wirksam. Sie haben ein sehr gutes Verträglichkeitsprofil. Die verschiedenen Präparate werden einmal im Monat bis einmal alle drei Monate vom Patienten selbst gespritzt. Eine dieser recht neuen Substanzen wird alle drei Monate als Infusion verabreicht. Anwendungsvoraussetzung: Fehlende Wirkung oder Unverträglichkeit der Medikamente zum Schlucken. Eines dieser neuen Präparate kann bereits eingesetzt werden, wenn ein einziges Tablettenpräparat nicht funktioniert hat.

Falls auch die bisher geschilderten Behandlungsmaßnahmen keine wesentliche Besserung bringen, steht als gut wirksame Therapie BoNT (sh. BoNT) zur Verfügung, zugelassenes Handelspräparat für chronische Migräne: "Botox".
Es erfolgt die Injektionen von BoNT mit einer sehr dünnen Nadel in 31 definierte Stellen am Kopf. Die Behandlung muss ca. alle 3 Monaten wiederholt werden.

Sollten all diese Therapien nicht helfen, so kann meiner Erfahrung nach eine Ketamininfusionsbehandlung – auch in Kombination mit einer der oben geschilderten Maßnahmen – weiterhelfen (sh. Ketamin). Die Anwendung von langsamen Ketamin-Infusionen stammt ursprünglich aus der Schmerztherapie und hat sich erst später in der Psychiatrie zur Behandlung von Depressionen etabliert. Auch wenn das schmerztherapeutische Haupteinsatzgebiet von Ketamin Nervenschmerzen sind, so ist ein Behandlungsversuch anderer Schmerzzustände wie zum Beispiel von Kopfschmerzen oft hilfreich.

Was Sie von Ihrem Arzt bei Kopfschmerzen erwarten sollten:

  • Ein genaues Erkundungsgespräch zur detaillierten Feststellung Ihrer Beschwerden. Dieses Anfangsgespräch, medizinisch "Anamnese" genannt, liefert meist die wesentlichen Informationen über die Art der Kopfschmerzerkrankung
  • eine gründliche körperlich-neurologische Untersuchung
  • eine EEG-Ableitung. Es gibt zahlreiche Experten, die dem EEG keine Bedeutung bei der Kopfschmerzabklärung beimessen. Vorderhirnerkrankungen machen allerdings bei der körperlichen Untersuchung oft keinerlei Auffälligkeiten, häufig jedoch im EEG.
  • evtl. weitere Untersuchungen
  • ein ausführliches Gespräch, wie Ihre Kopfschmerzerkrankung einzuordnen ist, und wie die Behandlung aussieht.


Was Sie von Ihrem Arzt bei Kopfschmerzen nicht erwarten sollten:

  • Die sofortige Veranlassung eines CT's oder eines Kernspintomogramms (MRT). Diese Untersuchungen sind nur sinnvoll, wenn die Anamnese, der körperliche Befund oder das EEG den Verdacht auf eine Erkrankung des Gehirngewebes liefert - was bei Kopfschmerzen nur sehr selten der Fall ist.

BoNT-Injektionen

"BoNT". Diese Abkürzung steht für den Begriff Botulinum-Neurotoxin, wobei "Neurotoxin" wörtlich übersetzt und sehr zutreffend "Nervengift" bedeutet. "Botulus" ist das lateinische Wort für "Wurst". Mit dem Kürzel BoNT kennzeichnet man das höchstgefährliche Toxin der Wurst- oder Fleischvergiftung, welches sich zum Beispiel in alten, überlagerten Konservendosen bilden kann.

BoNT lähmt Muskeln, weil bestimmte Funktionen an den Nervenendigungen geschädigt werden. Von dort kann dann kein Impuls mehr auf den Muskel überspringen. In der Folge arbeitet der Muskel nicht mehr - so wie ein Elektromotor nicht mehr funktioniert, wenn das zuführende Stromkabel defekt ist. BoNT steht in der modernen Medizin als Injektionslösung zur Verfügung und wird vor allem in überaktive Muskeln gespritzt, um diese gezielt und optimal dosiert zu schwächen. Zum Beispiel bei Dystonien, jenen unwillkürlichen Bewegungen bei Augenlid- oder Gesichtskrämpfen, Schiefhals und dergleichen. Durch BoNT-Injektionen werden diese Bewegungen abgeschwächt, im günstigsten Fall sogar beseitigt.

Spastische Lähmungen sind Behinderungen mit einer Versteifung eines Arms und/oder Beins, häufig in der Folge von Schlaganfällen, aber auch nach Hirnverletzungen oder Schädigungen des Rückenmarks. Die Muskelverkrampfungen werden durch die BoNT-Einspritzungen aufgelockert. BoNT wird seit relativ kurzer Zeit erfolgreich bei der Behandlung der chronischen Migräne eingesetzt, falls die üblichen migränevorbeugenden Medikamente (vor allem Betablocker, Flunarizin, Topiramat, Valproat) versagt haben (weitere Informationen in der Rubrik „Chronische Migräne“). Übermäßige Schweißabsonderung z.B. im Achselbereich, an den Handflächen oder den Fußsohlen kann mitBoNT-Injektionengestoppt werden. Vermehrter Speichelfluss, unter dem viele Parkinson-Patienten leiden, wird durch den gezielten Einsatz von Botulinum-Neurotoxin unterdrückt. Falls sich bei depressiv Erkrankten eine oder mehrere steile Falten zwischen den Augenbrauen ausgeprägt haben, kann die einmalige, vorübergehende Glättung mit einer BoNT-Injektion zu einer deutlichen Stimmungsaufhellung führen. Dieser Effekt ist wissenschaftlich belegt.

Hier verschafft die „Botox“-Behandlung, wie man sie aus der kosmetischen Medizin kennt, sozusagen im Nebeneffekt die Linderung seelischer Pein. Stressbedingte innere Anspannungen gelten als Auslöser erhöhter Muskelanspannung, die Ursache für körperliche Schäden sein kann. Man denke vor allem an das nächtliche Zähneknirschen und die daraus resultierenden Schäden an Zähnen und am Kiefergelenk. Die „Giftspritze“ kann helfen. Zur präzisen Steuerung der Injektionen verwende ich bedarfsweise mein Ultraschallgerät und/oder Spezialinjektionsnadeln, die mit einem EMG (das ist ein Muskel- und Nervenmessgerät) verbunden sind.

Die Wirkung von BoNT-Injektionen lässt in den meisten Fällen nach zirka drei Monaten nach, weil der Körper die durch die Injektion geschädigten Nervenfasern durch neue ersetzt. Ausnahme ist die Depression, hier reicht in aller Regel die einmalige Anwendung. Botulinum-Neurotoxin ist in Deutschland unter den Präparate-Namen Botox, Dysport, Vistabel oder Xeomin im Handel.